Carsharing – ein Mobilitäts-Baustein mit Potential?

Kann Carsharing die Verkehrssituation in Städten verbessern? Eine umstrittene Studie geht derzeit davon aus, dass es sich nur um einen „Hype“ ohne tiefer gehende Effekte handelt. Doch die Betrachtung des Gesamtbildes zeigt, dass Carsharing durchaus Potential hat, wenn man es als einen Baustein im Mobilitäts-Ökosystem betrachtet.

In Deutschland sind laut KBA 47 Millionen PKWs zugelassen – so viele wie nie zuvor. Im Durchschnitt kommen somit auf jeden deutschen Haushalt 1,1 PKWs, wenn man diese Zahl um einige gewerbliche Fahrzeuge bereinigt, die nicht privat genutzt werden können.

Ist das ein Problem? Nun ja, allein der Platzbedarf für diese Fahrzeuge (ohne dazu gehörige Verkehrsflächen) ist mit 414 km2 genau so groß wie die die Fläche der Stadt Wien – oder so groß wie ca 58.000 Fußballfelder. Dazu kommt, dass private Fahrzeuge im Schnitt 23h pro Tag ungenutzt sind, und dass Autofahrten in den Großstädten und Metropolen nicht selten im Stau enden.

Doch die Liebe der Deutschen zu Ihrem Fahrzeug ist trotz einiger gegenläufiger Tendenzen ungebrochen – und die wenigsten Leute können behaupten, immer und unter allen Umständen ohne Auto zurecht zu kommen. Doch brauchen alle Haushalte ein oder mehrere Autos?


Wofür werden Autos genutzt?

Quelle: Mobilität in Deutschland 2017

Die Studie „Mobilität in Deutschland 2017“ (MiD), die im Auftrag des BMVI ca. alle 8 Jahre erstellt wird, zeigt, für welche Fahrtzwecke das Auto verwendet wird. Wenig überraschend stellt man fest, dass die Hälfte aller Fahrten in die Arbeit oder für dienstliche Zwecke unternommen wird. Ungefähr ein Viertel der Fahrten mit dem Auto werden für die Freizeitgestaltung unternommen und ein weiteres Viertel zum Einkauf, Erledigungen oder um Familienmitglieder zu begleiten.

Für die nachfolgende Argumentation gehe ich davon aus, dass die Entscheidung ein Auto anzuschaffen, einer rationalen Abwägung folgt, wofür man es denn konkret benötigt. Berufstätige, die ihren Arbeitsort nur schlecht mit dem ÖPNV erreichen können, schaffen sich einen PKW an, um bequemer und schneller zur Arbeit zu kommen. Familien mit kleinen Kindern benötigen das eigene Fahrzeug, um Fahrten zum Arzt oder zur Kindertagesstätte besser bewerkstelligen zu können. Pensionäre im ländlichen Raum sehen wenige Alternativen, um ihre Einkäufe zu erledigen.

Auch andere Modi führen zum Ziel

Doch zumindest im städtischen Raum kann man im Zeitalter der Mobilitätswende für jeden Fahrtzweck auch überzeugende Alternativen finden:

Beispiel Arbeits-/ dienstliche Fahrten: Unter dem Stichwort „Betriebliches Mobilitätsmanagement“ erarbeiten viele Unternehmen in Zusammenarbeit mit Städten seit einigen Jahren wirksame Mobilitätsangebote für ihre Angestellten, die von Mitfahrplattformen wie z.B. RideBee, über Jobtickets (z.B. HVV Profiticket) bis zu steuersparenden Dienstfahrrad-Modellen reichen. Zusätzlich zeigen Erreichbarkeitsanalysen von Unternehmen, dass Mitarbeiter häufig auch in Distanzen leben, die gut mit Fahrrad oder E-Scootern bewältigt werden können. Für diese Möglichkeit bildet häufig die fehlende Infrastruktur den Stolperstein für den Umstieg.

Beispiel Einkäufe und Erledigungen: Zahlreiche Lieferangebote können die Einkäufe nach Hause bringen. Dazu müssen innovative Technologien, wie autonome Liefersysteme, mit Smart Lockers in Wohngebäuden kombiniert werden, um diese Alternative zum eigenen Einkauf noch attraktiver und voraussichtlich auch effizienter zu gestalten als Einzelfahrten zum Supermarkt.

Beispiel Begleitung von Familienmitgliedern: Hier bieten heute schon digitale Plattformen die Möglichkeit, effizienter Fahrgemeinschaften zu bilden. In der Zukunft, können zum Beispiel autonome Shuttleservices Begleitfahrten übernehmen.

Wenn nun also für die Mehrheit der Fahrtzwecke Alternativen gefunden sind, die das eigene Auto bezüglich Zeitaufwand, Preis oder Komfort übertreffen, kann für PKW-Nutzer die Überlegung interessant werden, das eigene Auto abzuschaffen. In diesem Fall müssen nur noch wenige Fahrten tatsächlich abgedeckt werden – und hier wird das Carsharing Angebot interessant.

Ist das Carsharing-Angebot attraktiv?

Doch um tatsächlich Privatautos abzuschaffen, muss das Angebot „stimmen“. Welche Faktoren machen ein Carsharing Angebot attraktiv?

Verfügbarkeit/Nähe: Wie viele Fahrzeuge stehen mir zu einem beliebigen Zeitpunkt in zumutbarer Entfernung zur Verfügung, z.B. für spontane Erledigungen?

Planbarkeit: Kann ich für einen bestimmten Zeitpunkt ein Auto reservieren, z.B. für den Wanderausflug am Wochenende?

Flexibilität: Kann ich ein Fahrzeug in einen multimodalen Weg integrieren, also z.B. mit dem ÖPNV zu Einkäufen in die Stadt fahren und mit Tüten beladen per Auto zurückfahren?

Preis: Wird meine gefühlte Einschränkung der Flexibilität durch geringere Gesamtkosten als für einen privaten PKW honoriert?

Richtiges“ Modell: Kann ich etwas transportieren? Gibt es eine Sitzerhöhung für Kinder? Passen Koffer in den Kofferraum?

Buchung: Verläuft das Finden, Buchen und die Abrechnung der Fahrzeuge unkompliziert auf der Plattform?

Reduziert Carsharing Fahrzeuge in der Stadt?

In vielen deutschen Städten gibt es derzeit ein Angebot von einem oder mehreren Carsharing Anbietern, das in free-floating, stationsbasiert oder als eine Mischform der vorgenannten klassifiziert werden kann. Eine Studie von Team Red in Bremen belegt, dass durch das dortige stationsbasierte Modell pro Carsharing-Fahrzeug 16 private PKWs ersetzt werden. Diese Zahl errechnet sich sowohl durch abgeschaffte als auch nicht angeschaffte Fahrzeuge. Eine ältere Studie aus München geht von ca. 3 abgeschafften oder nicht angeschafften Fahrzeugen pro Carsharing Fahrzeugen für das free-floating System aus. Der Nutzen von Carharing für die Stadt liegt hier also konkret in einer Reduktion von Fahrzeugen samt der dazugehörigen Raumeinsparungen.

Zusätzlich kann folgende Beobachtung unter Carsharing-Nutzern gemacht werden: Wenn Personen ihr eigenes Auto abgeschafft haben, werden sie verstärkt zu multimodalen Verkehrsteilnehmern. Das Auto wird also nicht mehr „automatisch“ für egal welche Fahrt oder Distanz genutzt – sondern es werden sorgfältig die Alternativen abgewogen. In Folge dessen werden mehr Fahrten mit dem ÖPNV, dem Fahrrad oder weiteren umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln unternommen. Auch dieses Verhalten belegt die Studie aus Bremen:

Quelle: Mobilität in Deutschland 2017

Was müssen Städte tun?

Welche Handlungsempfehlungen können nun für Städte und Anbieter aus diesen Erkenntnissen abgeleitet werden?

  • Förderung von stationsbasiertem Sharing: Um eine effiziente Reduktion von PKWs auf den Straßen voranzutreiben, sollte stationsbasiertes Carsharing unterstützt werden. Hierzu gehört auch die Bereitstellung entsprechender Flächen im Stadtraum.
  • Förderung der Integration in Wohnungsbau: Für den Nutzer ist ein Carsharing-Angebot in der eigenen Wohnanlage als besonders attraktiv zu bewerten. Auch hier kann die Stadt über eine geeignete Stellplatzverordnung Anreize für den Ausbau solcher Strukturen schaffen.
  • Förderung der Ausweitung von Geschäftsgebieten: Das Angebot an Carsharing ist heute in Großstädten besonders gut in zentrumsnahen Gegenden, wo auch andere alternative Mobilitätsangebote als sehr gut zu bezeichnen sind. Doch gerade die Randlagen könnten ebenfalls von Mobilitätsangeboten profitieren.
  • Verbesserung der alternativen Angebote: Um den Umstieg vom privaten Fahrzeug zu erleichtern, sollten sich Städte aber nicht nur auf die privaten Carsharing Anbieter verlassen. Um das oben erwähnte, sich ändernde multimodale Mobilitätsverhalten zu fördern, muss weiterhin das ÖPNV Angebot optimiert werden, Last-Mile Lösungen zu den Haltestellen in Randlagen etabliert werden und ein umfassendes Mobilitätsangebot gefördert werden.

Die Ausweitung von Carsharing liegt definitiv im Interesse von Städten – denn eine Reduktion von Privatautos birgt neben einer Verkehrsreduktion viel Potential, öffentlichen und privaten Raum zu befreien und hochwertigeren Nutzungen zuzuführen. Und dies ist im Zeitalter der Urbanisierung und damit einhergehender Flächenknappheit ein erstrebenswertes Ziel!

Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.